Wolfgang Bosbach
Ansichten eines Konservativen
Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach holt bei der Isu in Heiligenrode zum gesellschaftlichen Rundumschlag aus
Von Niklas Golitschek - Weser-Kurier vom 17.11.2022
Stuhr-Heiligenrode.
Das Gesicht war vielen Stuhrern aus Talkshows und Interviews bekannt. Den langjährigen Bundestagsabgeordneten Wolfgang Bosbach (CDU) aus nächster Nähe zu erleben, wollten sich viele aber nicht nehmen lassen. Nach zwei Jahren Pandemiepause folgte der 70-Jährige am Mittwochabend der Einladung der Interessengemeinschaft Stuhrer Unternehmen (Isu) für dessen jährliche öffentliche Veranstaltung im Meyerhof in Heiligenrode. In einem „gesellschaftlichen Rundumschlag“ sprach Bosbach über aktuelle Themen. Sein Hauptanliegen: „Wir müssen die Stabilität im Land wahren.“ Im In- wie im Ausland machte Bosbach Faktoren aus, die diese und den Wohlstand Deutschlands gefährdeten. Mit Sorge sprach er etwa davon, dass rund die Hälfte der Bevölkerung politisch interessiert sei, sich jedoch nur 1,6 Prozent in einer Partei engagierten. „Keine Staatsform regt so sehr zum Mitmachen an“, pries Bosbach die Demokratie und warb insbesondere für mehr Aktivität auf kommunaler Ebene. Gleichwohl habe sich das Wahlverhalten der Menschen geändert und auch die Volksparteien repräsentierten keinen Querschnitt der Bevölkerung mehr. Doch würdigte er, dass sie dem Land über Jahrzehnte gutgetan, Extremismus rechts wie links eingedämmt hätten und der Welt ein verlässlicher Partner gewesen seien. Im Ausland werde Deutschland nach wie vor um seine Stabilität beneidet. Vor Olaf Scholz (SPD) sei die Bundesrepublik in 39 Jahren von drei Bundeskanzlern regiert worden. „Das schaffen die Engländer in sechs Monaten“, witzelte Bosbach. Italien habe 17 Regierungschefs in diesem Zeitraum gesehen und: „Der HSV hatte 34 Trainer und spielt immer noch in der zweiten Liga.“ Frankreich und die USA etwa seien in der Mitte der Gesellschaft gespalten.
Politische und wirtschaftliche Stabilität
Neben der politischen warb Bosbach im Meyerhof auch um wirtschaftliche Stabilität. „Die CDU hätte die gleichen Probleme, wenn sie an der Regierung wäre“, betonte er. Nur die Antworten auf die Krisen wären vielleicht andere. Bereits einleitend hatte er sich gewünscht, im Diskurs mehr die Meinungen anderer zu respektieren und die eigene nicht als ultimativ zu werten. Das Ringen um die besten Antworten mit anschließender Mehrheitsfindung sei schließlich das Wesen des demokratischen Diskurses. In diesem Zuge warnte der CDU-Politiker vor einer schleichenden Deindustrialisierung. Der Ausbau des Sozialstaats könne nur mit einer soliden Finanzierung gestemmt werden. Angesichts der aktuellen Krisen und Preissteigerung stünden Unternehmen vor dem Ruin und auch Haushalte mit durchschnittlichem Einkommen sorgten sich um ihren Lebensunterhalt. „Wenn der Staat nicht hilft, wenden sie sich den Kräften mit den einfachen Antworten zu“, mahnte er. Zuvor hatte er angeprangert, in den ostdeutschen Bundesländern vergifte die Alternative für Deutschland (AfD) bereits den Diskurs und spiele dort eine ganz andere Rolle. Deutschland kenne Rezessionen zwar, im Durchschnitt komme alle zehn Jahre eine. Doch könne sich das Land nicht auf ein rasantes Wachstum wie nach der Ölkrise 1974 verlassen. Angesichts der steigenden Lebenserwartung und einer zu erwartenden deutlichen Zunahme an Renteneintritten aus den geburtenstarken Jahrgängen müsse sich Deutschland auch mit dem Rentensystem befassen. Die Zahlungen müssten weiterhin über dem Niveau von Arbeitslosengeld II oder Bürgergeld liegen, forderte Bosbach. „Das schulden wir auch denen, die dafür arbeiten, dass Sozialleistungen bezahlt werden können“, sagte er unter dem Applaus des Publikums: „Sie sind das Rückgrat der Volkswirtschaft.“ Mit der Autoindustrie, dem Maschinenbau oder der Chemie sei Deutschland in einigen Industriebereichen noch Weltklasse. Doch die Wachstumsfelder lägen an anderer Stelle und neue Geschäftsmodelle sähen sich oft durch lange Genehmigungsverfahren blockiert, monierte Bosbach. Dabei müsse Deutschland seine Stellung als eine der bedeutendsten Volkswirtschaften der Welt wahren: „Die beste Investition ist in die Köpfe unserer Kinder.“ Deshalb wünsche er sich, dass Schulen mit neuen Lerninhalten die besten Einrichtungen des Landes würden. Es sei noch immer ein Glück, in Deutschland geboren zu werden, hier arbeiten zu können. Das solle erhalten bleiben.